
Nathalie hat in ihrem Blog Beitrag „Wir brauchen mehr ‚Ich will‘ weniger ‚Ich muss‘“ so schön von der Entscheidungsfreiheit geschrieben, wie wir auf Stress reagieren und dass es Übung benötigt, positiven von negativem Stress zu unterscheiden. Und genau hier setzt mein Gedankengang an, denn auch ich habe etwas über die Macht der Entscheidung und der Übung dazu gelernt. Aber von vorne.
Seit Wochen erzählt mir mein Mann, dass er so viel zu tun hat, dass er nicht weiß, wann er das alles machen soll und arbeitet daher auch Samstagvormittag. Genervt erzählt er dann, dass er schon wieder 1 Stunde in einem sinnlosen Meeting verschwendet hat und jetzt noch weniger Zeit hat, seine ganzen To Dos zu machen. Ich habe ihm von Nathalies Vorgehensweise erzählt und er versucht sich jetzt in der Übung. Aber wie wir ja alle wissen, Veränderung braucht Zeit. Und wenn er es dann doch mal schafft, merkt er eine Veränderung, aber das Thema der unnützen Meetings bleibt. Denn, sind wir mal ehrlich, Stress entsteht auch dadurch, dass die Außenwelt in unser Leben eingreift. Fatou hat als unser Podcast Gast in Folge 05 genau das auch für sich erkannt – sobald sie angefangen hat als Selbstständige zu arbeiten und ihr Arbeitstag weniger durch Team-Meetings und Firmen-Regeln bestimmt war, war ihr großer Stressfaktor verschwunden. Für sie war Stress in der freien Einteilung ihrer Zeit eingeschränkt zu werden. Sobald sie nach ihren Bedürfnissen und Werten leben konnte und so Ressourcen dazugewonnen hat, statt sie abzugeben, war sie entspannter. Stressbefreiter.
Stress und das Prinzip der Ressourcenerhaltung
Mein Mann ist auch so ein freiheitsliebender Mensch und seine Zeit nach seinen Wünschen gestalten zu können, ist ihm sehr wichtig. Wenn seine Zeit fremdbestimmt wird, dann muss es zumindest sinnhaft sein – kurzfristiges Ergebnis oder langfristiger Invest. Je sinnhafter, umso weniger stört ihn die Fremdbestimmung. Je weniger sinnhaft und je mehr Zeit verloren geht, umso mehr Stress entsteht. Es ist also ein Abwägen von Gewinn und Verlust von Ressourcen. Je mehr Verlustrechnungen wir haben oder auch nur die Androhung von Verlusten, umso gestresster fühlen wir uns. Das besagt zumindest Hobfolls Theorie der Ressourcenerhaltung*. Die Theorie basiert auf 3 Grundannahmen in der Stressdefinition. Stress entsteht bei:
- Drohendem Ressourcenverlust („Vielleicht ist es besser, wenn das Meeting 3h geht als 2, damit wir alles von diesem [nicht sinnhaften] Thema abdecken könne, was meinst du?“)
- Tatsächlichen Ressourcenverlust („Wir haben das [nicht sinnhafte] Meeting jetzt auf 3h gebucht.“)
- Mangelndem Ressourcenzugewinn (Leider dauern alle sinnhaften Meetings gerade so lange, wie dafür eingeplant wurde und es kann keine extra Zeit dazu gewonnen werden)
Das ergibt für mich ziemlich viel Sinn. Und Zeit ist nur eine Ressource, die wir gewinnen oder verlieren können, in dem Fall eine Energie-Ressource. Zu den Energieressourcen gehören auch Wissen und Geld. Was neues Lernen beflügelt, Geld verlieren macht uns panisch. Die Autonomie, die mein Mann braucht, ist eine Bedingungsressource, wie auch Familienstand oder Arbeitsplatzsicherheit. Durch Corona kommt es vielleicht auch zu einem Jobverlust. Die Existenzängste sind ein großer Stressfaktor. Hier kann es auch dazu kommen, dass persönliche Ressourcen in Mitleidenschaft gezogen werden, wie Selbstwirksamkeit. Aber vielleicht wird sie auch gestärkt durch die gesteigerte soziale Verantwortung, die man spürt. Durch die Kontaktbeschränkungen bestehen weniger Möglichkeiten seine sozialen Ressourcen auszubauen und zu stärken. Die Beziehungen zu Familie, Freunden und Kollegen leiden vielleicht darunter. Und als letzte Ressource gelten Objekte, wie Kleider, Auto oder Haus. Um weniger Stress zu empfinden gilt es also die Gewinn- und Verlustrechnung in Balance zu halten oder gar einen positiven Bank-Account zu schaffen.
Tolle Theorie und jetzt?
Allein diese Erkenntnis hat für mich viel bewirkt. Denn je mehr ich verstehe, wo ich Ressourcen verliere und wie ich sie dazu gewinnen kann, umso mehr habe ich es in der Hand meine Ressourcen gewinnbringend zu managen. Ich kann aktiv Ressourcen aufbauen, sozusagen präventiv agieren. Ich kann Weiterbildungen machen, die geben mir Wissen, dadurch vielleicht eine attraktivere Platzierung auf dem Arbeitsmarkt und das wiederrum stärkt meine Selbstwirksamkeit. Ich kann meinen Tag gut planen und Puffer einbauen, um Zeitverluste zu minimieren oder einfach auch mal Nein sagen. Ich habe es in der Hand. Gleichzeitig kann ich auch eine eher passive Strategie fahren und mir genau bewusst machen, was die Konsequenzen von einzelnen Handlungen sein werden und welcher Ressourcenverlust drohen könnte. Eine weitere Coping-Strategie ist es sich sozial zu positionieren. Wenn ich Teams aufbaue, kooperiere und Halt im sozialen Miteinander suche, um mit Stress umzugehen, redet Hobfoll von dem prosozialen Agieren. Langfristig ist dies, meiner Meinung nach, die bessere Strategie. Denn das Gegenteil des antisozialen Verhaltens beschreibt das Wegstoßen, Verletzen und dadurch zu schwächen und sich selbst in eine bessere Position zu heben. Wenn man Machtkämpfe in der Politik oder Business Welt anschaut, ist dies sicherlich noch Gang und Gebe. Die sozialen Ressourcen leiden hier allerdings enorm.
Meine Quintessenz aus dieser Stresstheorie
Natürlich ist die Theorie nicht die Antwort auf alles, denn sind wir mal ehrlich, existentielle Bedrohungen auf die wir keinen Einfluss haben, lassen jeden „unruhig werden“. Sie gibt aber einen kleinen Anker. Sie gibt vor allem Verständnis für das was passiert mit mir, wenn ich Stress empfinde. Es gibt immer Situationen, die ich zu unterschiedlichen Zeitpunkten anders empfinde – mal fühle ich mich gestresst, mal macht es mir überhaupt nichts aus. Und meist liegt es daran, dass viele kleine Ressourcen-Verluste zusammengekommen sind. Daher meine 3 Take Aways, die es sich zu üben lohnt
1. Positiver Ressourcen Bank Account
Je mehr Ressourcen ich habe, umso stressresistenter bin ich. Verluste machen mir weniger aus und ich kann meine Ressourcen gewinnbringender einsetzen. Es lohnt sich also einen Fokus darauf zu legen aktiv Ressourcen dazuzugewinnen. Das geht auch trotz eisiger Kälte, Corona oder Schnupfen. Vielleicht erfordert es manchmal einfach mehr Kreativität. Ein Spaziergang an der frischen Luft mit Freunden lässt die Energie Ressourcen und die sozialen Ressourcen wachsen und es ist Regelkonform.
2. Bewusstes Handeln
Sich darüber bewusst zu sein, welche Konsequenzen aus gewissen Handlungen folgen und das damit abgleichen, was man aktuell braucht. Wenn die Ressource Zeit knapp ist, dann vielleicht eher nein sagen bei der Meeting-Anfrage oder genauer zu überlegen, welche Tätigkeiten mich dahin bringen, wo ich hin will. Was nicht zum Ziel beiträgt, wird einfach weggestrichen.
3. Kooperationen bauen
Das Gefühl nicht allein zu sein oder auch andere mit im Boot zu haben, baut Stress ungemein ab. Sich mitteilen, Rat suchen, Gefühle in Worte fassen, helfen genau dabei. Dies geht auch sehr gut übers Telefon oder Video-Anrufe. Ich habe z. B. monatlichen einen tollen Video-Anruf mit 4 anderen Freundinnen, die in ganz Deutschland verstreut sind. Das tut immer wieder gut.
Was nimmst du für dich mit? Welche Ressourcen stehen für dich im Fokus? Ich bin gespannt von dir zu hören, gerne per Mail oder auch als Kommentar.
* Wer mehr zur Theorie der Ressourcenerhaltung lesen will, findet eine Übersicht auf Wikepedia und viele Details, auch im Arbeitskontext in der Dissertation.
Deine Franziska
